Es lohnt sich wohl der Mühe, von dem Mississippi zu lesen; er ist kein gewöhnlicher Fluß, sondern in jeder Beziehung merkwürdig. Betrachtet man den Missouri als seinen Hauptarm, so ist er der längste Fluß der Welt, volle viertausenddreihundert englische Meilen lang. Auch kann man mit Sicherheit behaupten, daß er der gekrümmteste Fluß der Welt ist, da er auf einem Teile seines Weges eintausenddreihundert Meilen weit fließt, um eine Entfernung zurückzulegen, welche in der Luftlinie nur sechshundertundfünfundsiebzig Meilen beträgt.

turtles_maryland_babies_14248_oEr ergießt dreimal so viel Wasser ins Meer wie der St. Lorenzstrom, fünfundzwanzigmal so viel wie der Rhein und dreihundertundachtunddreißigmal so viel wie die Themse. Kein anderer Strom entwässert ein so ungeheures Becken; er entnimmt sein Wasser achtundzwanzig Staaten und Territorien zwischen Delaware an der atlantischen Küste und Idaho an den Abhängen des Stillen Meeres, eine Entfernung von fünfundvierzig Längengraden. Der Mississippi nimmt das Wasser von vierundfünfzig geringeren Flüssen, die für Dampfboote schiffbar sind, und von einigen hundert, welche von Leichtern und Flachbooten befahren werden, in sich auf und führt es dem Golf zu. Das Areal des von ihm entwässerten Beckens ist so groß wie der Flächenraum von England, Wales, Schottland, Irland, Frankreich, Spanien, Portugal, Deutschland, Österreich, Italien und der Türkei zusammen, und fast das ganze weite Gebiet ist fruchtbar, das eigentliche Mississippithal sogar in hohem Grade.

Der Mississippi ist ein bemerkenswerter Fluß auch insofern, als er nach der Mündung zu nicht breiter wird, sondern sich verengert: er wird schmäler und tiefer. Von der Mündung des Ohio bis zu einem Punkte, etwa halbwegs abwärts nach dem Meere, beträgt die Breite bei hohem Wasserstande durchschnittlich eine englische Meile; von da verringert sich die Breite bis zum Meere stetig, bis sie bei den ›Pässen‹, oberhalb der Mündung, nur noch wenig mehr als eine halbe Meile ist. Am Ausfluß des Ohio ist die Tiefe des Mississippi siebenundachtzig Fuß; dann nimmt sie allmählich zu, bis sie eben oberhalb der Mündung einhundertundneunundzwanzig Fuß erreicht.

Ebenso ist der Unterschied beim Steigen und Fallen des Wassers, zwar nicht auf dem oberen, aber auf dem unteren Laufe des Flusses bemerkenswert. Bis nach Natchez (dreihundertundsechzig englische Meilen oberhalb der Mündung) hinab ist das Steigen ein ziemlich gleichmäßiges – etwa fünfzig Fuß: bei Bayou La Fourche steigt der Fluß aber nur vierundzwanzig, bei New-Orleans fünfzehn und gerade oberhalb der Mündung sogar nur zwei und einen halben Fuß.

Nach den Berichten erfahrener Fachleute entleert der Mississippi alljährlich vierhundertundsechs Millionen Tonnen Schlamm in den Golf von Mexiko, ein Quantum, das, zu einem festen Körper vereinigt, einen Flächenraum von einer englischen Quadratmeile bedecken und eine Höhe von zweihunderteinundvierzig Fuß haben würde. Die Schlammablagerungen lassen das Land allmählich anwachsen, doch geschieht dies nur sehr langsam, da dasselbe in den zweihundert Jahren, welche verflossen sind, seitdem der Fluß seinen Platz in der Geschichte eingenommen hat, nur um eine Drittelmeile vorgerückt ist. Die Gelehrten meinen, daß die Mündung des Flusses früher bei Baton Rouge, wo das hügelige Terrain aufhört, gelegen habe und daß die zweihundert Meilen Land zwischen dem genannten Punkte und dem Golf vom Flusse angeschwemmt worden seien. Daraus würde sich ohne Mühe das Alter dieses Landes auf einhundertundzwanzigtausend Jahre berechnen lassen.

Noch in einer anderen Beziehung ist der Mississippi bemerkenswert, nämlich durch seine Neigung, wunderbare Sprünge zu machen und schmale Landzungen zu durchschneiden, um auf diese Weise seinen Lauf zu begradigen und zu verkürzen. Mehr als einmal hat er sich mit einem einzigen Sprunge um dreißig englische Meilen verkürzt! Diese Richtwege haben seltsame Folgen gehabt: es sind dadurch verschiedene am Fluß gelegene Städte mitten in ländliche Distrikte hinein versetzt und vor ihnen Sandbarren und Wälder aufgebaut worden. Die Stadt Delta hat sonst drei Meilenunterhalb Vicksburg gelegen: ein vor einiger Zeit vom Flusse eingeschlagener Richtweg hat die Lage aber radikal geändert, denn Delta liegt jetzt zwei Meilen oberhalb Vicksburg.

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