Als ich ein Knabe war, gab es unter meinen Kameraden in unserem Heimatsort am westlichen Ufer des Mississippi nureinen beständigen Ehrgeiz. Es war der: ein ›Dampfbootmann‹ zu werden. Wohl hatten wir hin und wieder flüchtige Begierden anderer Art, aber sie waren nur vorübergehend. Wenn ein Zirkus erschien und wieder davon zog, so brannten wir eine Zeitlang nach der Lebensstellung eines Clowns. Die erste Negerminstrel-Gesellschaft, [Fußnote] welche in unsrer Gegend auftauchte, erweckte die Begierde in uns, es mit diesem Beruf zu versuchen. Und es gab sogar Zeiten, in denen wir ernstlich hofften, Gott würde uns, wenn wir gesund und am Leben blieben, Seeräuber werden lassen. Aber alle diese Wünsche und Träume zerrannen wieder, wie sie gekommen waren. Nur der Ehrgeiz, ein Dampfbootmann zu werden, blieb fest in unsren Seelen.

animal_afro_gambia_13423_oEinmal an jedem Tag kam ein kleines Packboot stromaufwärts von St. Louis, ein anderes thalabwärts von Keokuk, und legten jedesmal bei unserm Städtchen an. Ehe sich dieses Doppelereignis vollzogen hatte, war alles Leben und Erwartung. Sobald es vorüber war, wurde der Tag öde und leer. Noch heute, nach Verlauf all der Jahre, kann ich mir ein getreues Bild von damals machen: die weißen, im Sonnenschein eines heißen Sommermorgens träumenden Häuser; die Gassen öde oder doch nahezu so; vor den Läden der Uferstraße ein oder zwei Commis, die auf ihren hintenüber an die Wand gelehnten Holzstühlen eingeschlafen waren – das Kinn auf der Brust, den Schlapphut tief über das Gesicht gezogen – rings herum eine Menge Holzschnitzel und Spähne, die über den Zeitvertreib, welcher sie derartig erschöpft hatte, keinen Zweifel ließen; auf dem Seitenweg spazierte ein Mutterschwein mit seinen Jungen und thaten sich an Abfällen von Wassermelonen gütlich; am Landungsplatz lagen zwei oder drei Haufen von Frachtstücken und ein Ballen Häute umher, in deren Schatten der alkoholduftende Trunkenbold des Ortes seinen Morgenrausch verschlief; am Ende der Landungsbrücke schaukelten ein paar Flachboote auf dem Wasser, aber nirgends war eine Menschenseele, um dem leisen Getön der anschlagenden Wellen zu lauschen; und endlich der große und majestätische Mississippi mit seiner meilenbreit in der Sonne leuchtenden Flut, den dichten Waldungen des entgegengesetzten Gestades und seinen Landzungen oberhalb und unterhalb des Städtchens, wodurch er den Blick begrenzt und wie ein stiller und großartiger See erscheint.

Plötzlich steigt ein schwarzes Rauchwölkchen hinter einer jener fernen Landzungen empor und ein farbiger Lastträger, weit berühmt durch sein scharfes Auge und seine Stentorstimme, stößt den Ruf aus: »D-a-mpf-b-o-o-t k-o-mmt«, und wie mit einem Zauberschlag ist die Szene verwandelt! Der Ortstrunkenbold reibt sich die Augen; die Ladendiener erwachen; Wagenrasseln und Karrenrollen ertönt; jedes Haus und jeder Laden entsendet einen Beitrag in Menschengestalt zu dem plötzlich das Ufer erfüllenden Leben, und im Handumdrehen ist das ganze Städtchen, eben noch Schlaf und Tod, ganz und gar Leben und Bewegung. Lastwagen, Schubkarren, Packträger, Arbeiter, Männer und Knaben hasten und eilen von allen Seiten her nach dem gemeinsamen Ziel des Landungsplatzes. Dort angelangt heften sich alle Blicke auf das herandampfende Boot, als wäre es ein Wunder, das sich ihnen zum erstenmale enthüllt. Und es ist auch thatsächlich ein wunderhübscher Anblick – dieses Boot, wie es scharf, sicher und selbstbewußt einherbraust.

Es hat zwei hohe, oben verzierte Rauchfänge, zwischen denen ein goldenes Emblem in der Sonne glitzert; das ganz aus Glas und zierlichem Holzwerk bestehende Pilotenhäuschen ragt vom obersten Deck wie ein Zuckerbäckerkunstwerk empor; die Radkasten tragen die Namen des Bootes inmitten eines goldenen Strahlenkranzes; die verschiedenen Decks sind von sauberen weißen Geländern eingefaßt; vom Flaggenstock flattert grüßend eine prächtige Flagge hernieder; die Thüren des Heizraumes sind weit geöffnet, und die Feuer glühen lustig; die oberen Decks sind ganz schwarz voll Passagiere; der Kapitän steht oben neben der großen Glocke, stattlich und ruhig – die Bewunderung und der Neid aller; große, schwarze Massen chaotischen Rauches quellen aus den Schornsteinen – ein billiges Schauspiel, das von den Heizern dadurch hervorgebracht wurde, daß sie kurz vor der Ankunft an einem Halteplatz ein Stück harziges Pitch-Pine (das amerikanische Tannenholz) in die Feuer warfen; die Mannschaft ist auf dem Vorderdeck gruppiert; die Landungsbrücke ragt über die Seite des Boots hervor, und der beneidenswerteste aller Matrosen steht, das Ende eines dicken Taues in der Hand, malerisch und weithin sichtbar auf ihr. Jetzt tönt ein lautes Schrillen aus dem kleinen Dampfrohr, der Kapitän hebt die Hand, eine Glocke läutet, die Räder stoppen, dann schlagen sie rückwärts, das Wasser zu Schaum peitschend, und der Dampfer steht regungslos. Nun entsteht ein toller Wirrwarr, indem die einen ans Land, die andern an Bord drängen, und gleichzeitig die Frachtstücke eingeladen und ausgeladen werden; – dazwischen schreit und flucht die Mannschaft, um sich die Arbeit zu erleichtern. Zehn Minuten später, und alles ist vorüber; der Dampfer ist wieder in Fahrt; schon treibt er mitten im Strom dahin, ohne Flagge am Stock und ohne das Schauspiel qualmender Schornsteine. Nach abermals zehn Minuten verschwindet er hinter der entgegengesetzten der beiden Landzungen, und der Ort ist in seine alte Totenstille und der Ortstrunkenbold in seinen Schlummer neben den Häuten zurückgesunken.

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